Ökologie im Fokus - innovative Ansätze für die Baubranche

Prof. Dr.-Ing. Thomas Ummenhofer, am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) tätig, bezeichnet sich selbst als Bauingenieur mit Leib und Seele. Auch im Gespräch über Nachhaltigkeit im Bauwesen spürt man seine Leidenschaft deutlich. Wo er zum Umdenken aufruft und warum er Staus hasst, erklärt er im Interview

 

Wir wollen mit Ihnen über „nachhaltige Praxis“ im Bauwesen sprechen. Haben Sie zum Start eine allgemeine Einordnung Ihrer Haltung für uns?

» Mal abgesehen davon, dass ich den Begriff Nachhaltigkeit für inflationär halte, sehe ich hier vor allem eine Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität. Da ist natürlich zunächst unsere Verantwortung gegenüber dem Planeten und den nachfolgenden Generationen. Fakt ist aber auch, dass die Baubranche in Bezug auf Ressourcen- und Energieverbrauch Treiber Nr. 1 ist. Unsere wesentliche Aufgabe ist also ein verantwortungsvoller und vor allem sinnvoller Umgang mit Ressourcen und Energie. Ich denke, wir müssen von rezyklierbaren Bauprodukten und Bauweisen hin zu wiederverwendbaren kommen – und zwar, ohne zu ideologisieren: Nehmen wir den Trend Holz. Wir müssen uns bewusst machen, dass wir Holz nur in begrenztem Maße ernten können. Deshalb ist mir ein sinnvoller Rahmen so wichtig.

In konkreten Bauprojekten geht es aber doch nach wie vor um Finanzierbarkeit.

» Ja, weil der Kostendruck so hoch ist. Die Ökonomie ist der einzige Anreiz, den wir haben. Deshalb finde ich auch dieses klassische Dreisäulenmodell der Nachhaltigkeit fragwürdig. Es kann doch nicht sein, dass wir die ökonomischen Komponenten genauso gewichten wie die ökologischen und sozialen. Vielleicht wird sich durch die hohen Energiekosten auch der Energieeinsatz automatisch anpassen müssen. Aber der Markt allein wird das nicht regeln. Wir müssen die Ökologie stärker in den Fokus nehmen.

Wie könnte das aussehen?

» Indem wir ökologische Grundlagen auch im Planerischen stärker in den Vordergrund rücken und so bauen, dass Instandhaltungskosten möglichst gering sind. Nehmen wir das Beispiel Brücke: Sie soll heute eine Lebensdauer von 100 Jahren haben. Aber wir wissen, dass wir die Betonoberfläche irgendwann überarbeiten oder auch den Korrosionsschutz erneuern müssen. Letzteres könnten wir in den Griff bekommen – zum Beispiel durch eine vorgelagerte Hydrophobierung der Oberfläche oder indem wir Schutzsysteme aus dem Offshore-Bereich adaptieren. Ich glaube fest daran, dass sich solche Investitionen am Anfang eines Bauvorhabens auszahlen, wenn wir später keinen so großen Instandhaltungsaufwand mehr haben. Die typische Zweifeldbrücke mit Mittelpfeiler zum Beispiel ist eine einzige Katastrophe. Wir haben lange Sperrzeiten bei der Erstellung, wir müssen Fahrbahnübergänge, Kappen und Geländer ersetzen. Victor Schmitt hat sich mit den von ihm konzipierten integralen und modularen Bauweisen, auch volkswirtschaftlich gesehen, ein großes Verdienst erworben. Die kosten zunächst etwas mehr, aber die deutlich kürzere Bauzeit und damit weniger Verkehrsbeeinträchtigungen und Staus bei Errichtung und Instandhaltung fangen das über die Lebensdauer zigfach auf.

Wir sind damit ja schon mittendrin in der „ganzheitlichen Analyse und Bewertung von Infrastrukturprojekten“ – einem Forschungsthema, das Sie besonders beschäftigt. Warum?

» Das stimmt. Denn ich hasse es, im baustellenbedingten Stau zu stehen. Egal, ob auf Autobahnen, Bundesstraßen oder im innerstädtischen Bereich: Staus verursachen volkswirtschaftlichen Schaden. Studien zeigen, dass eine Stunde, die wir mit dem Pkw im Stau stehen, 20 Euro kostet – und das ist unteres Level, weil das ein Mittelwert über privaten und geschäftlichen Gebrauch ist. Mir erzählt keiner, dass wir Staustunden komplett nacharbeiten. Der Stress im Stau, wenn wir wichtige Termine verpassen, reduziert unser Leistungsvermögen. Der Energieverbrauch und auch der Fahrzeugverschleiß im Stop-and-go erhöhen sich. Es passieren mehr Unfälle durch Unachtsamkeit. All das sind volkswirtschaftliche Effekte. Deshalb war mein Ansatz, Staus zu monetarisieren. Unsere Analysen anhand einer Beispielbrücke über die A8 haben ergeben, dass die Kosten durch Staustunden für den Bau und die Unterhaltung der Brücke deutlich über den eigentlichen Erstellungskosten liegen. Vor diesem Hintergrund haben wir Softwaretools entwickelt, die es ermöglichen, verschiedene Bauweisen und deren Effekte miteinander zu vergleichen.

Es geht Ihnen um eine übergreifende Sicht auf die Gesamtkosten?

» Genau. Denn die setzen sich aus den Baukosten und aus den volkswirtschaftlichen Effekten während der Wartung und Instandhaltung plus Rückbau, also über den gesamten Lebenszyklus einer Brücke, zusammen.

Was ist Ihre Schlussfolgerung?

» Dass wir wegkommen müssen von der vermeintlich billigsten hin zur gesamtbilanziell optimalen Lösung. Ein Umdenken ist gefordert. Zur Problematik gehören deshalb auch die Rahmenbedingungen, die noch nicht entsprechend gesetzt wurden. Das ist eine Aufgabe der Politik. Deshalb muss der Druck auf die Politik wachsen.

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